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Historisches Zentrum

Aus dem Stadtführer „wupper tal – ein Stadtporträt“, Rundschau Verlag
Wuppertals tolle, bunte Geschichte wird ganz spannend und bildhaft erzählt

Es steht ein Pferd auf dem Flur

Historisches Zentrum mit Museum für Frühindustrialisierung und Engels-Gedenkstätte

Wuppertal zählt zu den interessantesten Industriestädten Nordrhein-Westfalens. Die Entwicklung der deutschen Industriegesellschaft hat um 1750 an der Wupper begonnen und war eine Folgewirkung von ratternden Hämmern und Kotten an bergischen Bächen. Diese beispiellose Vergangenheit zeichnet das Museum für Frühindustrialisierung an der Engelsstraße eindrucksvoll nach. Wuppertal ist mehr als 500 Jahre Textilgeschichte, Keimzelle der metallverarbeitenden Industrie mit ihren technologischen Fortschritten, Heimat von verschiedenen Kirchengemeinden und religiösen Sekten, glanzvolle Kunst und Kultur, Theater und Musik, Geburtsort berühmter Sportler und des neben Karl Marx zweiten Erfinders des wissenschaftlichen Sozialismus, Friedrich Engels (1820-1895). Die Bandbreite reicht vom Bundespräsidenten Johannes Rau bis zur einmalen Schwebebahn. Technologische Neuerungen, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Umwälzungen, aber auch städtebauliche Veränderungen, haben sich im 19. Jahrhundert besonders früh und drastisch vollzogen.
Für Wuppertal reicht ein Heimatmuseum alter Prägung nicht aus. Das nach neuesten pädagogischen Erkenntnissen gestaltete Historische Zentrum in Barmen bildet den Rahmen, Geschichte nachvollziehbar und erlebbar zu machen – für Einheimische und Gäste aus Nah und Fern. Eine quasi „bewegende“ Ergänzung dazu bilden 13 themenorientierte Stadtteilrouten unter dem Titel „Fäden, Farben, Wasser, Dampf“. Unterwegs wird das Industriezeitalter bildhaft.

Museum für Frühindustrialisierung
Es steht ein Pferd auf dem Flur! Diese Karnevalsgeschichte könnte in Barmen geschrieben sein, denn auf der Museumsrampe steht ein künstliches Pferd, das daran erinnert, dass in der Remise, wo nahe der Empfangstheke das Geschwisterroß wartet, früher das Fuhrunternehmen Reddehase zuhause war. Kaltblüter zogen die ersten Fuhrwerke, bevor die Motorisierung einsetzte. Die Vierbeiner hatten ihre Boxen in der ersten Etage.
In der 1983 als Museum eröffneten ehemaligen Kannegießerschen Fabrik lassen verschiedene Maschinen den Holzboden erzittern, wenn gezwirnt, gespult und gewebt wird. Erst die Bleicherei („Garnnahrung“) an Wupper und anderen Bächen. Dann das Färben der Garnbündel und nachfolgend Handarbeit in dunklen Räumen. Mit der „Spinning Jenny“ wurde die erste Maschine aus England gestohlen und nachgebaut. Bänder und Barmer Artikel sorgten für bescheidenen Wohlstand, der allerdings mit Kinderarbeit erkauft wurde. Da blieb für Bildung und Ausruhen der Fabrikkinder nicht viel Zeit. Das „Elberfelder System“ symbolisiert das Erkennen sozialer Probleme und die Verbesserung der Armen- und Krankenpflege. Zuwanderungen aus dem Oberbergischen Land (Homburg), aus Waldeck, Schwarzenberg und dem Märkischen machten Wohnungsbau im großen Stil notwendig. Viele Pflasterer waren zur Befestigung der Straßen nötig. Kirchen schossen wie Pilze aus dem Boden. Lutheraner, Reformierte und katholische Christen erlebten hohe Zuwachsraten. Die Gesellschaft war von alteingesessenen Familien und neue Dynastien geprägt. Namen wie Bayer, Vorwerk, Mittelsten-Scheid, Duisberg und Bredt stehen dafür. Energie (Kohle, Strom, Gas), Mobilität (Pferdekutsche, Eisen-, Straßen-, Schwebebahn) und die gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung sind weitere wichtige Stichworte, die im Museum bildhaft dargestellt werden. Ein Gang durch die Jahrhunderte ist spannend und lädt zum Mitdenken ein. Ein Stadtmodell erinnert an das Wuppertal der 1930er Jahre und zahlreiche Kriegsverluste. Ein kleiner Tunnel dokumentiert den Schwerpunkt Zeit als neue Dimension mit ihren vielen Variationen: Zeit ist Geld, Zeitbestimmung, Zeiterfahrung, Laufzeit, Zeitzone, alle Zeit der Welt, Zahn und Lauf der Zeit. Weil unser ganzes Leben von der Zeit regiert wird, kann man die Blicke in die Lebens- und Arbeitswelt mit anderen Augen betrachten.

Engels-Haus
„Marx ohne Engels ist wie Brötchen ohne Mehl!“ So wurde einmal im Tal geschrieben, denn hätte der Fabrikantensohn aus Barmen nicht seinen Freund Karl Marx finanziell unterstützt, wäre das kommunistische Manifest „Das Kapital“ dünner oder ganz ausgefallen. Dort, wo die reiche Familie im Quartier „Bruch“ residierte, verschafft das Historische Zentrum einen hervorragenden Einblick in die Aufbruchjahre 1780 bis 1850. Im industriell weiter entwickelten England wurde Engels jr. mit der Realität der Arbeiterklasse konfrontiert und prägte seine politische Haltung maßgeblich. Er träumte von einer klassenlosen Gesellschaft und stellte sich in den Dienst des so genannten sozialistischen Realismus. Im Wohnhaus des Vaters von Friedrich Engels begegnen sich fast mehr studierende Besucher aus dem fernen China, als einheimische Gäste, nutzen Bibliothek und Fotosammlung. Die Wertschätzung ist ungleich verteilt, weil ein Teil der Bevölkerung nicht zum Friedenschluss mit Friedrich Engels bereit war. Aber schließlich wird das große „Reich der Mitte“ auch noch von der Kommunistischen Partei geführt.

Engelsgarten mit gewaltiger Plastik
An der zum Opernhaus gelegenen Ecke des Engelsgartens hat einmal das Wohnhaus von Friedrich Engels jr. gestanden. Eine schlichte Steinplatte erinnert an ihn und daran. Ansonsten dehnt sich der Park auf der Fläche aus, auf der sich im Bruch früher die Fabrik der Familie Engels – „Engelsche Kolonie“ genannt – befand. Der Kontrast kann nicht größer sein. Wo einst die Fabrikanten-Dynastie Reichtum anhäufte, erhebt sich seit vielen Jahren die von Alfred Hrdlicka geschaffene, gewaltige, weiße Marmor-Plastik, die Überzeugungen und Ziele des Sozialisten Friedrich Engels visualisiert. 

Manuelskotten im Kaltenbachtal
Das historische Hammergebäude „Manuelskotten“ ist seit 1993 eine Außenstelle des Historischen Zentrums. Eine Besichtigung empfiehlt sich in Verbindung mit einer Fahrt mit Oldtimern der Straßenbahn, die alle zwei Wochen von der Kohlfurth durch das Kaltenbachtal nach Cronenberg rollt.

Industriezeitalter in 13 Routen
Nach wertvollen Grundsatzinformationen im Historischen Zentrum empfiehlt sich eine – so wörtlich – weitergehende Bildung durch das Begehen von 13 Stadtteilrouten, die nach jahrelanger Forschungsarbeit durch Mitglieder und Freunde des Bergischen Geschichtsvereins 2007 fertig gestellt wurden und anschaulich, an historischen Orten und mit informativen Tafeln, Wissen vertiefen und Lust auf Mehr machen.
In Cronenberg geht es thematische um die Entwicklung vom Erzabbau zur Werkzeugindustrie. Beyenburg kümmert sich um die Nutzung der Wasserkraft und Entwicklung des Wegenetzes. Auf der Route 3 von Oberbarmen durch Heckinghausen in die Öhde erlebt der Besucher 500 Jahre Textilgeschichte rückwärts: vom Bleichen zur Kunstseide. In Ronsdorf begibt man sich auf den Spuren der Bandwirker und einer vorindustriellen Stadtgründung. Friedrich-Ebert-Straße und Arrenberg in Elberfeld stehen für die Themenvielfalt von einer Prachtstraße mit Fabriken bis zum Arbeiterviertel und vielen armen Menschen. Aus Wichlinghausen wurden Spitzen, Litzen und Bänder in alle Welt geliefert. In Unterbarmen, entlang der repräsentativen Allee, blühte das gesellschaftliche Leben. Um Alltag und Politik geht es in der Elberfelder Nordstadt, dem berühmt-berüchtigten „Ölberg“. Westlich davon steht der Ostersbaum beispielhaft für sozialen Fortschritt mit sozialen und kulturellen Einrichtungen. Vohwinkels Schwerpunkt ist der Weg vom frühen Verkehrsknoten zur Stadtgründung. So sehr Wuppertals Westen mit dem Niederbergischen verbunden war, reichen des Ostens Bande in Form von Langerfeld weit ins Westfälische. Erst 1922 nach Barmen eingemeindet, stellt der Stadtteil die Urbanisierung und den Weg vom Dorf zu Stadt dar. Das Zooviertel ist ein konzeptionell geplantes Villenviertel vor den Toren der damaligen Stadt Elberfeld. Bestens geeignet für das Thema Gehobenes Wohnen von Fabrikanten und Kaufleuten. Den Schlusspunkt setzt die Route 13 mit dem Sedans-/Wichelhausberg in Barmen, der von der Genossenschaft „Vorwärts“ und vom Wohnungsbau der Barmer Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen geprägt wurde.

Klaus-Günther Conrads

Weitere Informationen sind online im Internet erhältlich:
www.historisches-zentrum-wuppertal.de
www.bgv-wuppertal.de
www.engelshaus-wuppertal.de
Adresse: Historisches Zentrum mit Museum für Frühindustrialisierung und Engels-Haus, Wuppertal-Barmen, Engelsstraße 10; Telefon (0202) 563-4182
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10.00-13.00, 15.00-17.00 Uhr 

Text aus WuRu-Stadtführer