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Joachim Dorfmüller

Für die Freunde guter Orgelmusik hat Wuppertal über Schwebebahn und Zoo hinaus als Musikstadt einen besonders guten Ruf. Am Erwerb dieses Mehrwertes war Professor Dr. Joachim Dorfmüller maßgeblich beteiligt, seit er 1974 die längst international anerkannten „Wuppertaler Orgeltage“ gegründet hat. Unterstützt von einem ebenfalls von ihm gegründeten Freundeskreis zog er Jahrzehnte im August und September international bekannte Solisten ins Tal der Wupper. Ein schöner und für Wuppertal wichtiger Nebeneffekt ist es, die wertvollen und gut klingenden Orgeln, von denen es so viele gibt, bei dieser Gelegenheit einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die üblicherweise nicht damit vertraut ist. Ursprünglich fanden Eröffnung und Finale der „Wuppertaler Orgeltage“ mit Joachim Dorfmüller an dessen Heimatorgel in der Barmer Lutherkirche statt. Dazwischen wechselten die Orte, doch eine herausragende Qualität verband und verbindet alle Spielstätten.
Joachim Dorfmüller stammt aus einer musikalischen Familie, so dass sein beruflicher Werdegang vom Kantor über den Musiklehrer und Wissenschaftler bis zum Konzertorganisten kein Wunder ist. Kein Zufall war, dass Dorfmüller seine Dissertation zum Thema „Skandinavische Klaviermusik nach Edvard Grieg“ schrieb, denn Skandinavien und vor allem Griegs Heimat Norwegen haben den Mann aus der Ringelstraße gefangen und nicht mehr los gelassen. Die nordischen Gefilde sind ihm nahe. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Professor Dorfmüller zum Vorsitzenden der Deutschen Edvard-Grieg-Gesellschaft gewählt wurde und angeregt hat, dass 2005 ein Weg im Barmer Komponisten-Viertel nach dem norwegischen Komponisten benannt wurde. Ob in Oslo, Moskau, St. Petersburg, Tallin, Wilna, Leipzig oder Dresden, überall zeigte Dorfmüller sein exellentes Können, ist er musikalisch Zuhause. Er kennt viele Künstler und die Kollegen kennen ihn. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Landschaftsversammlung Rheinland anlässlich der Verleihung des Rheinlandtalers am 4. November 1991 in Wuppertal-Barmen: „Herrn Dorfmüllers Wirken zeigt, das Musik keine Grenzen kennt und Kultur allgemein das Miteinander in Europa fördert. Gerade wir Deutschen sollten uns daran erinnern, dass über Jahrhunderte hinweg eben nicht nur die staatliche Einheit als bindendes Band galt. Es waren Kultur, Musik, Philosophie, Dichter, Denker und Künstler, die zur Identität dessen beitrugen, was sich im Innern deutsch nannte und jenseits der Grenzen deutsch genannt wurde. Kultur ist die gemeinsame Basis des menschlichen Zusammenlebens.“ An den Taler-Empfänger gerichtet: „Ihre vielfältigen Aktivitäten und Tätigkeiten, ob als Organist, Pianist, Cembalist, Ihre Lehraufgaben in Wuppertal, Düsseldorf, Duisburg und Münster, Forschungen zur Orgelgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, besonders zur Wuppertaler Chorgeschichte, dazu zahllose Beiträge in in- und ausländischen Zeitschriften, unerschöpflich scheint Ihr Leistungsspektrum.“ Professor Dr. Joachim Dorfmüller ist mit besonders hoher schöpferischer Kraft ausgestattet.

Der Heidter Berg in Barmen zieht sich gleichsam als roter Faden durch Dorfmüllers Biographie. Nur einige Jahre lebte er anderswo: während der Evakuierung in München sowie in Lengenfeld/ Vogtland und Werdau/Sachsen, später zum Studium in Marburg, ferner kurz auf dem Dönberg und in Elberfeld. Zwölf Jahre insgesamt oder etwa ein Fünftel seines Lebens.
Immer wieder holte ihn der Heidt zurück. Ganz anders hätte es kommen können. So hatte er 1967 die Möglichkeit, an die Deutsche Schule in Oslo zu gehen, zog dann aber die Lehrerlaufbahn in heimatlichen Gefilden vor. Nun, das Land im hohen Norden verlor er nicht aus den Augen, besuchte es, zumeist konzertierend, immer wieder, war sogar schon auf Spitzbergen und am Nordpolar-Packeis, dort, wo die meisten Norweger noch nicht gewesen sind. Und er arbeitete 1998 neun Wochen lang in Oslo dank eines Forschungsstipendium, das ihm die Norwegische Akademie der Wissenschaften zuerkannte. Damals wurde er durch Kollegen auf bisher unveröffentlichte Werke des weltberühmten norwegischen Romantikers Edvard Grieg aufmerksam, stieß auf über 300 Seiten, an deren Veröffentlichung er jetzt u.a. arbeitet. Als Präsident der Deutschen Edvard-Grieg-Gesellschaft, die ihren Sitz seit 1995 in der Ringelstraße hat, fühlt er sich dieser hochinteressanten Aufgabe besonders verpflichtet.
Von Joachim Dorfmüller ist die Rede, geboren am 13. Dezember 1938 sozusagen am Fuße des Heidt, im Hause Heckinghauser Straße 91. Sein Vater Ewald Dorfmüller, ein echter Heckinghauser, geboren 1898 in der Ziegelstraße als Sohn eines Drogisten und neunjährig infolge eines Sturzes im unbeleuchteten Treppenhaus fast erblindet, war nach Unterricht bei Jean Schwiebert bereits mit siebzehn Jahren als Privatlehrer für Klavier, Harmonium, Gitarre und Violine tätig. Mitte zwanzig war er, als er die Orgel entdeckte und sich durch eine Zusatzausbildung bei Gottfried Grote, dem Organisten der Alten Wupperfelder Kirche und Dirigenten des Bach-Vereins, zum Kirchenmusiker qualifizierte, der er bis fast an sein Lebensende 1972 bleiben sollte. Mutter Meta Dorfmüller geborene Kläber, 1912 in Berlin geboren und 1984 in Barmen verstorben, hatte nach einer hauswirtschaftlichen Ausbildung in München die Betreuung einer blinden Telefonistin übernommen, mit der sie ihre Sommerferien gern am Timmendorfer Strand verbrachte. Hier lernte sie 1934 Ewald Dorfmüller kennen, der, begleitet vom sehenden Bruder Hans, dort ebenfalls Urlaub machte.
Beide heirateten, wurden in der Alten Wupperfelder Kirche durch den Heidter Pfarrer Martin Graeber getraut. In der ersten gemeinsamen Wohnung – siehe oben – wurde ihr einziges Kind, Joachim, geboren. Großmutter Marie Kläber aus Sachsen wollte bei der Geburt dabei sein, kam jedoch einen Tag zu spät – der Sohn hatte es wohl eilig. Sie blieb bis zur Taufe, die wegen des eisigen Winters 14 Tage später in der elterlichen Wohnung stattfand; Vater spielte Bach auf dem Pedalharmonium. Und Vaters Tätigkeit umgab den Sohn mit viel Musik, denn bald waren fast alle Barmer Musiklehrer zum Kriegsdienst eingezogen, so dass im „Musikzimmer“ wöchentlich bis zu 60 Stunden erteilt wurden, nach Eintritt der Dunkelheit auch für Kinder einer jüdischen Familie von der Bergbahn. Sie spielten Klavier am Harmonium, weil es leiser war – bis eines Tages die Gestapo kam und die Familie nie wieder gesehen wurde.
Ab 1942 besuchte Joachim Dorfmüller den am nahen Grillparzerweg gelegenen Heidter Kindergarten, geleitet damals von Schwester („Tante“) Ida Luft. Doch nicht lange, denn bald fielen die ersten Bomben auf Barmen. Und vollends brach die Katastrophe über Barmen herein, als englische Flieger in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1943 ihre tödliche Last abwarfen. Das Dröhnen und Explodieren noch in den Ohren, erinnert sich Joachim Dorfmüller an die Leuchtbomben, die sogenannten „Christbäume“, an das angstvolle Gedränge der Menschen im Keller, auch daran, wie seine Eltern mit ihm nach der Entwarnung aus dem Keller emporstiegen und über die brennende, nach innen gestürzte Haustüre ins Freie stolperten. Nicht nur das Haus – fast ganz Barmen stand in Flammen, und die Straßen glühten vom brennenden Asphalt. Der blinde Vater trug den Sohn auf dem linken Arm, wurde am rechten Arm von der Mutter geführt. Das nackte Leben war gerettet. Mit Rucksack, Koffer und Tasche vorbei an noch brennenden Ruinen bis zu den Kasernen auf Lichtscheid – ein wahres Wunder, dass die Familie dort ankam.
Evakuiert zur Großmutter ins sächsische Werdau, bekam der Vater bald einen Ruf als Kantor und Organist an die Himmelfahrtskirche in München-Sendling. Doch wurde dort die Familie nach wenigen Wochen wieder ausgebombt, zog noch Ende 1943 ins vogtländische Lengenfeld, wo Vater an der St. Egidienkirche eine zeitlich begrenzte Tätigkeit fand, so lange der eigentliche Stelleninhaber als Soldat diente. In Lengenfeld wurde Joachim 1944 eingeschult. Geregelten Unterricht gabs nicht, Bomben fielen auch hier, Straßenkämpfe erschütterten die Stadt, die Wohnung brannte aus – zum dritten Male stand die Familie vor dem Nichts. Sie zog nach Werdau, wo der Vater noch einmal begann, eine Existenz aufzubauen, nun als Privatmusiklehrer und Klavierstimmer. Seinem nun sechsjährigen Sohn erteilte er Klavierunterricht, später, als dieser neun war, auch Violinunterricht. Die Fortschritte waren gut, denn zehnjährig debutierte Joachim bei einer Schulfeier am Klavier mit Mozarts „Türkischem Marsch“ und Griegs „Morgenstimmung“ – vielleicht war die Vorliebe für diese beiden Komponisten damit schon fest verankert? Auch Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ lernte er kennen. Orgelunterricht hatte er noch nicht, doch spielte er ohne Pedal 1949 einen ersten Gottesdienst in Lauterbach bei Werdau. Und bald noch einmal, diesmal an prominenter Stelle: 1950 zu einer Trauung eher zufällig an der Sauer-Orgel von Bachs Thomaskirche. Das Brautpaar stand an der Kirchenpforte, der von Thomaskantor Günther Ramin bestimmte Vertreter aber war nicht zu sehen. So sprang der Elfjährige, der mit seiner Mutter gerade Verwandte im Thomas-Pfarrhaus besuchen wollte, ein.
Übrigens: 1951 hätte Joachim Dorfmüller nach bestandener Aufnahmeprüfung Leipziger Thomaner werden können, wäre der Vater nicht zur Rückkehr in seine frühere Wupperfelder Kirchengemeinde eingeladen worden. Politisch war das damals noch relativ leicht möglich, auch obgleich die Eltern keine Parteimitglieder waren und der Sohn auch kein „Junger Pionier“. So kam die Familie mit komplettem Mobilar im Juli 1951 zurück, Vater Dorfmüller wurde Organist auf dem Norrenberger und auf dem Alten Friedhof, spielte sonntags im Friedensheim am Mühlenweg, gab wieder Unterricht. Joachim besuchte von der Werléstraße aus, wo man nach Zahlung eines sogenannten Baukostenzuschusses eine Wohnung gefunden hatte, die 8. Klasse der Volksschule Ackerstraße bei Konrektor Hans Edelhoff, und wechselte 1952 zum noch schulgeldpflichtigen (!) Aufbauzweig des Carl-Duisberg-Gymnasiums. Mit seinen russischen Sprachkenntnissen konnte er nichts anfangen, lernte nun Englisch und Latein, auch ein wenig Französisch. An der dortigen kleinen Aula-Orgel spielte er zur Schulandacht, begann Klavierunterricht und Nachhilfe zu erteilen. Und sonntags fuhr er mit dem Fahrrad oft quer durch die Stadt, um Orgel-Vertretungen wahrzunehmen, kam so am 21. Juli 1957 erstmals in die Lutherkirche. Er hinterließ einen guten Eindruck, denn im Frühjahr 1959 bot ihm der Heidter Pfarrer Julius Zentz zum folgenden Herbst die Stelle der Organistin und Chorleiterin Gisela Pilleschewskis an, die, inzwischen verheiratet, vor dem Umzug nach Herten stand. Eine Kirchenmusikerprüfung hatte er noch nicht; er sollte sie erst 1960 extern in Düsseldorf ablegen.
Vierzig Jahre und ein wenig mehr ist das nun her. Joachim Dorfmüller nahm das Angebot sehr gern an, wenngleich sich die dreimanualige Faust-Orgel von 1911 in miserablem Zustand befand: Tasten blieben hängen, Register waren nicht mehr funktionstüchtig, die Blasbälge arbeiteten schlecht – an fast jedem Wochenende kroch er in die Orgel und führte kleine Reparaturen durch. Aber er hatte ein „eigenes“ Instrument, konnte mit ihr sein Studium zum Teil finanzieren. Der Vater hätte es bezahlt, doch wollte der Sohn nur im Notfall auf dieses Angebot zurückgreifen. Allerdings bekam er deswegen kein Stipendium (Honnefer Modell hieß das damals, heute BAFöG), brauchte aber auch nichts zurückzuzahlen.
Wie lange Joachim Dorfmüller an der Lutherkirche bleiben würde, stand freilich offen. Denn beruflich schwankte er noch. Wäre die Kirchenmusik zum Hauptberuf geworden, hätte er ohnehin eine größere Stelle angestrebt. Andererseits interessierte ihn die Arbeit in der Schule. Dass genau dorthin bei aller Begeisterung für die Kirchenmusik die Weichen gestellt werden, dafür waren denn auch die Erfahrungen entscheidend, die Dorfmüller als Betreuer 1959 im Stadtrandlager auf dem Langerfelder Hedtberg und 1960 am österreichischen Tauernpass unter der Leitung von Otto Rissmann, dem Rektor der Volksschule Meyerstraße, gemacht hatte. Also begann er, inzwischen mit den Eltern in die westliche Krautstraße gezogen, an der Kölner Musikhochschule mit dem Schulmusikstudium, fuhr fast täglich um 6.24 Uhr ab Oberbarmen per Dampf-Eilzug an den Rhein. Das Studium an der Hochschule lief sehr glatt, so dass an der Universität Köln bald Geographie, Geologie, Pädagogik, Philosophie, Latein und Musikwissenschaft hinzukamen. Und im Sommer betreute er regelmäßig Jugendliche am Fuße des Dachsteins. 1965 legte er das Erste Philologische Staatsexamen ab.
Zum Sommer 1966 ging Dorfmüller nach Marburg, schrieb bei Prof.Dr. Heinrich Hüschen, der von Köln dorthin gegangen war, zügig seine Doktorarbeit über die norwegischen Klaviermusik nach Edvard Grieg und bestand im Sommer 1967 die mündlichen Doktorprüfungen, das sogenannte „Rigorosum“. Unterdessen jobbte er, um die „Studentenbude“, die Kosten des Studiums inklusive VW-Käfer und den Druck der Doktorarbeit zu finanzieren: er unterrichtete montags und dienstags am städtischen Gymnasium an der Barmer Sedanstraße, dirigierte dienstagnachmittags den Männerchor der Langerfelder Textilfirma Homberg, fuhr danach mit dem Zug oder VW-Käfer an die Lahn. Quer durch Sauer- und Siegerland – eine Autobahn gab es noch nicht. Samstags kehrte er wieder zurück: zum Dienst in der Lutherkirche, auch zu Konzerten, über die er Kritiken für den „General-Anzeiger“ schrieb.
An Kündigung des Kirchendienstes auf dem Heidt dachte Dorfmüller nun schon nicht mehr. Die Arbeitsatmosphäre war ideal; zudem stand ihm seit 1966 eine neue große Orgel aus der Werkstatt Alfred Führer in Wilhelmshaven zu Diensten, eine der größten Wuppertals und zweifelsohne eine der schönsten. Nicht nur in Konzerten wurde sie in ihrer ganzen Fülle vorgestellt. Auch erklang und erklingt an ihr seit 1970 meist am vierten Sonntag im Monat dank einer Anregung des Heidter Pfarrers Hans-Ludwig Slupina in sogenannten „Laudate-Gottesdiensten“ („Laudate“ heißt „Lobt!“) mehr Orgelmusik als sonst. Dass Dorfmüller heute der am längsten an ein und derselben Kirche tätige Wuppertaler Organist ist, versteht er selbst kaum. Doch durfte er im Herbst 1999 im Rahmen eines von Pfarrer Friedrich Mehnert gehaltenen Festgottesdienstes und einer anschließenden großen Gemeindefeier das 40-jährige Dienstjubiläum als Organist auf dem Heidt begehen. In seiner Ansprache brachte er damals seinen Dank für die optimale Zusammenarbeit mit Pfarrerin Hartmann, den Pfarrern Mehnert und Zieger, Küster Kleemann und Presbyterium, dem er nun auch 25 Jahre angehört, zum Ausdruck.
Doch zurück zur Schule. Dorfmüller, seit 1967 Studienreferendar am Quirinus-Gymnasium in Neuss und ein Jahr später am Gymnasium Scharnhorststraße in Düsseldorf, legte 1969 das Zweite Philologische Staatsexamen ab. Mit Beginn des Schuljahres 1969/1970 kam er dank der Initiative seines ehemaligen Lateinlehrers Wilhelm Tonn, der nun das Gymnasium an der Sedanstraße leitete, in eine Planstelle an dieser seiner Schule. Wuppertal hatte ihn nun wieder. Neun Jahre sollte er an der Sedanstraße unterrichten: Musik und Latein, einige Jahre auch Mathematik, nachdem er einen entsprechenden Seminarkurs absolviert hatte. Dazu leitete er die Schulkonzerte, war Klassenlehrer, bildete Referendare aus, redigierte mit Kollegen die Schulzeitung. 1972 wurde er zum Studienrat ernannt, 1975 zum Oberstudienrat leistungsbefördert.
Inzwischen nahm das Konzertieren einen immer breiteren Raum in Dorfmüllers Terminkalender ein. Schon 1964 als Organist und Pianist hatte er mit dem bis dahin an den Wuppertaler Bühnen engagierten norwegischen Baßbariton Helge Birkeland eine Tournee durch Norwegen unternommen. Und seit 1968 war er mehrmals in Südfrankreich und Paris als Organist der jungen Kantorei Frankfurt, deren Leiter Joachim Martini ihn aufgrund der Empfehlung seines einstigen Schulfreundes und späteren Schwagers Burkhard Vesper engagiert hatte. So kam er auf den Geschmack und beschloss 1969, aus Unzufrieden mit den bisher auf der Orgel erreichten Kenntnissen zu Professor Dr. Wolfgang Stockmeier an die Kölner Hochschule zu gehen und bei ihm die Künstlerische Reifeprüfung anzusteuern. Das entsprechende Diplom legte er 1971 ab, ohne freilich zu ahnen, dass er später selbst einmal Examina dieser Art an derselben Hochschule abnehmen würde.
Joachim Dorfmüller hatte sich, inzwischen auf dem Heidt in eine eigene Wohnung eingezogen, mit der Diplomtextilingenieurin Ursula Petschelt verlobt, die als Assistentin an der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach tätig war. Die Trauung fand 1976 in der Lutherkirche statt, es predigte Pfarrer Gerd Hohagen aus Düsseldorf, die Orgel spielte Heinrich Stolte, Kantor der Wuppertaler Kurrende, mit der Dorfmüller auch bei den Quempaskonzerten in der Lutherkirche – eng zusammenarbeitete, u.a. zwei USA-Tourneen absolvierte. Und hatte vom Heidt aus 1973 die Wuppertaler Orgeltage ins Leben gerufen, die dank einer Initiative von Reiner Bergmann seit 1977 durch einen stattlichen Freundeskreis gestützt wurden, dessen Vorsitzende, Werner Viehoff und Dr. Hans-Joachim Oehm, übrigens auch auf dem Heidt wohnen. Dorfmüller eröffnet diese Orgeltage stets in der Lutherkirche und beschließt sie seit drei Jahren an der von der Familie Mittelsten Scheid gestifteten großen Orgel in der Historischen Stadthalle auf dem Elberfelder Johannisberg. Inzwischen zu einer festen Institution im Tal geworden, brachten sie Organisten und Organistinnen aus vielen europäischen Ländern, aus Australien und Japan auf den Heidt. Mit der Wuppertaler Kurrende war sogar Iwan Rebroff, den Dorfmüller seit dessen Frankfurter Opernjahren kennt, zu Konzerten sowie zu LP- und CD-Aufnahmen auf dem Heidt.
Seit 1976 war Dorfmüller bereits mit einem Tag pro Woche in der Lehrerausbildung an der neu gegründeten Universität Duisburg tätig. Professor Dr. Norbert Linke holte ihn dorthin, den er bei Rundfunkaufnahmen mit dem Live-elektronischen Ensemble der Folkwang-Hochschule in Hamburg kennengelernt hatte. So verließ er zum 1. Februar 1978 – Dorfmüllers älteste Tochter Birte war gerade drei Wochen alt – und wechselte an die Ruhr. Lehre und Forschung standen im Mittelpunkt seiner dortigen Arbeit, die Habilitation für Musikwissenschaft sollte das nächste Ziel sein. Er erreichte es 1982 mit der Schrift „Untersuchungen zur Tradition barocker Formen in der Orgelmusik zwischen 1960 und 1980“. Indessen wuchs die junge Familie: zwei weitere Kinder, Helge Christian und Ann-Kristin, kamen zur Welt. Sieht man genau hin, ergänzen sich die Anfangsbuchstaben der drei Vornamen zum Anagramm B-A-C-H – Symbolik, bei einem Organisten nicht zu verdenken.
Noch zwei Jahre lehrte Dorfmüller in Duisburg, daneben auch vertretungsweise an der Musikhochschule Mannheim. Und er übernahm, nachdem er schon 1972-1981 Orgel, Klavier und Musikgeschichte an dem vom Wupperfelder Kollegen Winfried Pesch geleiteten Kirchenmusikalischen Seminar unterrichtet hatte, 1983 an der Musikhochschule Köln eine Orgeldozentur, die er bis 1998 wahrnahm. Zum Sommersemester 1984 wechselte Dorfmüller an das Institut für Musikpädagogik der Universität Münster. Hier lehrt und forscht er, 1987 zum Professor ernannt und 1991 zum Studiendirektor, nun im 17. Jahr. Schwerpunkt ist die Musik des 19. und 20. Jahrhunderts und hier mit seinem Kollegen Professor Dr. Ekkehard Kreft insbesondere das Werk des norwegischen Komponisten Edvard Grieg. 1989 gründete Dorfmüller die dem Nachwuchs geltenden wöchentlichen Akademischen Orgelstunden der Universität Münster – die 600. Stunde fand inzwischen statt.
Die erfolgreiche Zwischenbilanz: Dorfmüller gab bisher über 2.200 Konzerte in 21 europäischen Ländern, den USA und Japan vornehmlich als Organist und Pianist. Er spielte bisher 36 LPs/CDs und viele Funkaufnahmen ein, manche davon an der Lutherkirchenorgel. Über 120 Orgelwerke brachte er zur Uraufführung, so u.a. von den Wuppertaler Komponisten Wilhelm Fehres, Fritz Christian Gerhard, Konrad Hupfer und Adolf Gebauer. Sieben Bücher schrieb er, dazu über 500 Aufsätze u.a. für Fachorgane des In- und Auslandes, für die „Rheinischen Musikerbiographien“, für Herders „Großes Lexikon der Musik“ sowie die Neuauflage der 21-bändigen Enzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“, schrieb auch regelmäßig Konzerteinführungen für den Wuppertaler „Ersten Rang“. Und er gab im In- und Ausland viele zumeist romantische Werke heraus, übertrug manches auf die Orgel, ließ es teilweise auch drucken. Nicht zuletzt wurden ihm Auszeichnungen zuteil. 1990 ernannte ihn die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Kirchenmusikdirektor, ein Jahr später wurde er mit dem „Rheinlandtaler“ geehrt, dem Kulturpreis des Rheinischen Landschaftsverbandes, und 1993 wurde er Leitendes Mitglied im Rat der Humboldt-Gesellschaft.
Es hätte – wie eingangs geschrieben – auch ganz anders kommen können. Doch blieb Joachim Dorfmüller dem Heidt treu und beabsichtigt es auch zu bleiben. Denn hier fühlt er sich mit seiner Familie wohl. Und ist sehr dankbar dafür.