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Alfred Dobbert

Milon Gupta in Zeitschrift „Neues Rheinland“ 3/1997:

Einer der prägenden Politiker beim Aufbau des Landes Nordrhein-Westfalen war der Wuppertaler Sozialdemokrat Alfred Dobbert. Er schrieb an der Landesverfassung mit und war 18 Jahre lang Landtagsvizepräsident. Im Parlament saß er seit der ersten Landtagssitzung am 2. Oktober 1946 im brandgeschädigten Düsseldorfer Opernhaus, anschließend bis zu seinem Ausscheiden 20 Jahre später im Landtagsgebäude am Schwanenspiegel.

Neubeginn

Alfred Dobbert war nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) einer der wenigen Sozialdemokraten, die sich für die Gründung des neuen Landes an Rhein und Ruhr einsetzten. Dabei hatte er den Parteivorsitzenden Kurt Schumacher ebenso gegen sich, wie den späteren Ministerpräsidenten Heinz Kühn. Die SPD lehnte die Landesgründung strikt ab! Sie befürchtete, das neue Land würde durch seine Bevölkerungsgröße und Wirtschaftsmacht so dominierend, dass es die Einheit des künftigen föderalen Staates sprengen könnte.
Als Chefredakteur des Rhein-Echos in Düsseldorf plädierte Alfred Dobbert seit dem Frühjahr 1946 öffentlich für das Bindestrich-Land. Damit wollte er einen französisch beherrschten Rheinstaat verhindern und die enge wirtschaftliche Verflechtung an Rhein und Ruhr aufrecht erhalten. Dobbert behielt Recht – zwei Jahre später hatte die SPD-Spitze sich an das neue Land gewöhnt. „Wenn es das Land Nordrhein-Westfalen nicht gäbe, müsste es geschaffen werden“, sagte Carlo Schmidt bei einem SPD-Ländertreffen in Karlsruhe kurz nach der Währungsreform 1948.
Im selben Jahr wurde Alfred Dobbert zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt. Das hielt ihn auch in den folgenden Jahren nicht davon ab, öffentlich Meinungen zu vertreten, die der Parteilinie frontal gegenüber standen. So befürwortete er, der selbst in zwei Weltkriegen an der Front stand, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Mitte der 1960er Jahre setzte sich der undogmatische Sozialdemokrat für eine Große Koalition in Nordrhein-Westfalen ein.
Bergischer Dickschädel aus Barmen
Von Kind an wusste der am 2. Januar 1897 in Barmen geborene Arbeitersohn seinen bergischen Dickschädel durchzusetzen. Das begann schon 1912: Im Alter von 15 Jahren trat Alfred Dobbert der Sozialistischen Arbeiterjugend bei – gegen den Willen seiner Mutter. Dabei erinnerte sie sich vermutlich daran, wie ihr Mann 1908 von der Direktion der Bergischen Rheinbahn in Düsseldorf-Benrath als Werkmeisterentlassen wurde, weil er SPD gewählt hatte. Doch nach einer Woche hatte sich der junge Dobbert durchgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war er Riemendreher-Lehrling in der Textilfirma Kaiser & Dicke, wo er das Klöppeln von Bändern, Litzen und Spitzen lernte.
Der Weg in die Politik
Zur Politik brachten ihn belesene Arbeitskollegen. 1915 trat er der SPD bei. Das Hauptmotiv für sein politisches Engagement: „Ich war unzufrieden, mit den herrschenden Verhältnissen. Und ich nahm mir vor, selbst an einer Veränderung mitzuarbeiten“, erinnerte er sich 1969. Seine Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg (1914-1918) machten Dobbert zum entschiedenen Kriegsgegner. Er schloss sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USDP) an, die sich wegen ihrer strikten Ablehnung des Krieges von der SPD abgespalten hatte.
Die Novemberrevolution 1919 bedeutete den Startschuss für Dobberts politische Karriere. 1920 wurde er Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes für Barmen und Elberfeld, ein Jahr später Redakteur der „Volkstribüne“. 1923 folgte er einem Ruf nach Großenhain bei Dresden, wo er zunächst als Sekretär des Textilarbeiterverbandes arbeitete und ein Jahr später im Stadtrat saß. 1926 zog Dobbert für die SPD im sächsischen Landtag ein. 1930 wurde er in den Reichstag gewählt.
Zusammen mit anderen Sozialdemokraten stimmte Dobbert 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten um Adolf Hitler. Seine Standhaftigkeit brachte ihm zehn Wochen Schutzhaft ein und zwölf Tage Untersuchungshaft wegen angeblich illegaler Betätigung. Doch am offenen Kampf gegen den Nationalsozialismus beteiligte er sich nicht. „Widerstand erschien mir schon von 1933 an sinnlos,“ resümierte er 1965.
Politikpause
Von 1934 bis 1945 zog sich Alfred Dobbert in eine unpolitische Existenz als Bezirksleiter der Alten Leipziger Lebensversicherungsgesellschaft in Wuppertal zurück. Nach dem Krieg ging er wieder in die Politik. Ende 1945 übernahm er in seiner Heimatstadt die Leitung des SPD-Parteisekretariats. Bis 1969 war er ununterbrochen im Wuppertaler Stadtrat tätig, von 1961 bis 1964 als Bürgermeister und Stellvertreter des CDU-Oberbürgermeisters Heinz Frowein.
Streit und Kompromiß
So hartnäckig Dobbert in Sachfragen stritt, blieb er doch immer zum politischen Kompromiß bereit. Unter seiner Leitung glich der Landtag einer Großfamilie, wie Zeitgenossen bemerkten. Dobbert selbst unterstrich das: „Ich habe immer die Tendenz, ausgleichend zu wirken.“
Hammelsprung
Gelegentlich blitzte sein Humor auf. Einmal ordnete er den so genannten „Hammelsprung“ an, ein Abstimmungsverfahren, bei dem die Abgeordneten durch Ja- oder Nein-Türen gehen. Grund: Ein Abstimmungsergebnis war angezweifelt worden. Darauf hatte Dobbert launig vor sich hin gebrummelt: „Ich will euch Brüdern die Lust verleiden, ein Abstimmungsergebnis anzuzweifeln.“ Da der Lautsprecher zur Pressetribüne nicht abgeschaltet war, hörte man dort sein Gebrummel – zur Freude der Glossenschreiber.
Bescheidenheit
Sprichwörtlich war Dobberts Bescheidenheit. Sein Vizepräsidenten-Zimmer hatte die Nummer 310 und lag versteckt unter dem Dach des Landtaggebäudes am Schwanenspiegel. Vorher waren dort Hotelzimmer für Abgeordnete. Sein Kommentar: „Ich brauche ja nicht immer vornean zu stehen.“ Auch privat verzichtete er auf den standesgemäßen Luxus. Seit 1953 bewohnte er eine Hochhauswohnung in der Elberfelder Südstadt.
Rückzug
Das ehrgeizige Streben nach höheren Ämtern war Alfred Dobbert fremd. Als Sozialdemokrat und Parteigenosse Heinz Kühn 1966 die Landesregierung in Düsseldorf übernahm, zog sich Dobbert aus der Landespolitik freiwillig zurück, da er mit dem Machtwechsel seine politische Mission für erfüllt hielt.
Trauer und Lob
Dem bescheidenen Barmer wären der Staatsakt und die Flutwelle an pathetischen Abschiedsworten nach seinem Tod am 19. November 1975 vermutlich ein Greuel gewesen. Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) hatte für den Tag seiner Beisetzung Trauerbeflaggung angeordnet. Das Begräbnis fand am 25. November 1975 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Unterbarmer Friedhof statt. Landtagspräsident Wilhelm Lenz, Ministerpräsident Heinz Kühn und die Minister Johannes Rau und Dieter Posser kamen, um vom dienstältesten, ersten Landtagspräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Abschied zu nehmen. Kühn würdigte die Menschlichkeit, Lenz die Fairness und Toleranz des Verstorbenen. Zusammen mit der Bescheidenheit stehen vier Tugenden hinter dem Namen Alfred Dobbert!
Mahnung
Alfred Dobbert schrieb den drei Landtagsfraktionen im Juli 1966 folgende immerwährende Mahnung ins Stammbuch: „Die Parteien müssen hart konkurrieren, aber sie dürfen sich nicht bekriegen.“