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Kurt Herberts

Es hat für mich nie einen Widerspruch gegeben zwischen der industriellen Tätigkeit und meinen geistigen und philosophischen Neigungen. Es wäre zu begründen, was im Besonderen die Motive gewesen sein mögen, eine industrielle Aufgabe anzustreben. Nachträglich gesehen, mag dies aus einer schicksalhaften Konstellation erfolgt sein, aber die Tätigkeit auf industriellem Felde habe ich immer als faszinierend empfunden wegen der außerordentlichen Vielseitigkeit der Aufgabenstellungen und Herausforderungen, vor allem auch durch die persönliche Freiheit in den Entscheidungen und gerade auch durch eine kompromisslose letzte Eigenverantwortung.
Kurt Herberts um 1985 in einem Interview mit Jürgen Frenzel

 
Der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts (17. Februar 1901 – 20. November 1989) gehörte zu den visionären, schon sehr frühzeitig global agierenden Unternehmerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und kann gleichzeitig als typischer Wuppertaler Fabrikant bezeichnet werden. In der durch die Frühindustrialisierung stark geprägten Arbeiterstadt entwickelte sich dieser Unternehmertypus vor allem im 19. und 20. Jahrhundert und zeichnete sich durch soziales Engagement, Zuverlässigkeit, Innovationsfreude und große Geschäftstüchtigkeit aus.

Die Erfolgsleiter des Unternehmers Kurt Herberts führte stetig nach oben. Er übernahm die großväterliche Lackfabrik quasi bei Null und verkaufte sie gut fünfzig Jahre später mit rund viertausend Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über vierhundertachtzig Millionen Mark. Nahezu bruchlos steuerte er die Firma durch die großen Krisen des Jahrhunderts, in dessen erstem Jahr er geboren wurde. Der Anthroposoph trotzte dem Nationalsozialismus, indem er nicht in die NSDAP eintrat und trotz persönlicher Gefährdungen und Pressalien durch die Gestapo verfemten Künstlern und verfolgten Juden Arbeitsmöglichkeiten und Schutzraum gab. … Als einen Unternehmer mit der Kraft zur Phantasie und zum Träumen beschrieb ihn der Weggefährte und ehemalige IHK-Hauptgeschäftsführer Horst Jordan, der es versteht, persönliche Neigungen in wirtschaftlichen Erfolg umzusetzen, und der wirtschaftlichen Erfolg nutzt, um Zeit zu gewinnen für schöpferische Muße.….
Obwohl im Wuppertal geboren, sprach Kurt Herberts kein Barmer Platt, sondern ein hoch gebildetes ‚Oxford-Deutsch’, und konnte aus dem Stegreif launige Ansprachen halten. Er war ein bekennender Kapitalist mit großem Verkaufstalent, aber auch hohem Ethos, dem es nicht nur um den Umsatz, sondern auch um die Anhäufung und Optimierung seines Humankapitals ging. …

Dr. Kurt Herberts lag an selbstbewussten und lernbegierigen Mitarbeitern, die er systematisch aufbaute, leidenschaftlich bildete und ausbildete, förderte, aber auch in hohem Maße forderte….Fast täglich ging er durch den Betrieb, ließ sich in den einzelnen Abteilungen berichten, gab Impulse, stellte strenge Anforderungen, war fordernd und nicht zimperlich, wie ehemalige Mitarbeiter berichten, blieb dabei aber immer Gentleman. …

Als bemerkenswert, kompliziert und ungewöhnlich beschreiben ihn seine Zeitgenossen, als positive Autoritätsfigur, charmant, interessiert, respekt- und humorvoll, mitfühlend, kontaktfreudig, aber auch als distanzierten Egozentriker, als beherrschende Persönlichkeit mit großem Geltungsbedürfnis, als Patriarchen und Hierarchen, der sich seiner Macht bewusst war, in einer eigenen Welt lebte und seinen Stab ständig mit neuen Ideen und Regieanweisungen konfrontierte. ….

Wer es fünf Jahre bei Dr. Kurt Herberts ausgehalten habe, sei austrainiert und durch nichts mehr umzubringen, wurde Herberts von seiner langjährigen Betriebspsychologin Ruth Blum-Hartlieb zitiert. Sie beschrieb in zahlreichen Episoden den Firmenchef, intern auch Römisch Eins genannt oder, nach der Verleihung des Ehrenprofessors durch die nordrhein-westfälische Landesregierung, der Professor. Bemerkenswert war sein Stil der Personalführung, der ein wesentlicher Schlüssel zu seinem unternehmerischen Erfolg war. Vorstellungstermine für Bewerber, die schon eine Vorauswahl im Unternehmen hinter sich hatten und entsprechend nervös vor die höchste Instanz zitiert wurden, sahen laut Blum-Hartlieb so aus: Römisch Eins saß bei solchen Gelegenheiten an seinem großen, sanft geschwungenen Schreibtisch, neben sich sein „Kommunikationspult“, auf das eine Vielzahl telefonischer Leitungen geschaltet war. Es war dies die technisch apparative Erweiterung seines natürlichen Sensoriums. Er telefonierte, nahm Gespräche entgegen, wählte selbst solche an. Der Proband, in einem Sessel ihm gegenübersitzend, flankiert von einer mit Stenoblock bewehrten Dame, wurde von Römisch Eins mit liebenswürdiger Höflichkeit um Verständnis, Entschuldigung und etwas Geduld gebeten. Er begann ein Gespräch, unterbrach es durch ein erneutes Telefonat, setzte das Gespräch fort, unterbrach es erneut und so fort. Auf diese Weise testete Römisch Eins die Frustrationstoleranz, Elastizität, Konzentrationsfähigkeit, gesellschaftliche Beweglichkeit des Probanden und seine Schnelligkeit der Anpassung an wechselnde Situationen.

Blum-Hartlieb berichtete auch vom Luftballonphänomen, einer besonderen Erscheinung in Gegenwart des Chefs, auf deren Auftreten die Mitarbeiter Wetten abschlossen: Aus normalerweise selbstsicheren Personen entwich angesichts des Titanen die Luft und sie schnurrten zu unansehnlichen Hüllen zusammen.

Einige Male erkrankten mehrere seiner engen Mitarbeiter zeitgleich an unterschiedlichen, ernsthaften Leiden, ein Phänomen, für das es keine naturwissenschaftliche Erklärung gab. Herberts vermutete Koinzidenzen im Sinne von C.G. Jungs Lehre von der Synchronizität der Ereignisse und ließ dieser Frage nachgehen, unter anderem auch mit Hilfe ungesicherter Theorien aus Grenzwissenschaften. Als Ergebnis, so Blum-Hartlieb, hätten sich Gemeinsamkeiten in den persönlichen Daten der betroffenen Personen ergeben. Dies habe Kurt Herberts in seinem Glauben bestärkt, dass alle Menschen in seiner Umgebung zu einem gemeinsamen, ihm zugeordneten Schicksalskreis gehörten.
Der Unternehmer reiste im Sommer gerne zu den Salzburger Festspielen und pflegte den Kontakt zu bedeutenden Geistern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik. Er war Mitglied vieler hochrangiger Gremien, hatte ein ausgeprägtes Elite-Bewusstsein und hielt konservative Werte hoch. …Kurt Herberts war ein Kämpfer, der, wie sein zeitweiliger enger Mitarbeiter Horst Wiethüchter berichtete, Schwierigkeiten und Misserfolge als Herausforderung nahm – im Sinne eines ‚das wäre doch gelacht, wenn wir da nicht herauskämen’ – und nur unter engen Freunden zugab, dass ihn neben dem unternehmerischen Mut oft auch die Angst beflügelte, den Anschluss zu verpassen. Für die Betriebspsychologin Blum-Hartlieb waren die Treue und das Vertrauen, das viele Herberts-Mitarbeiter dem Unternehmen auch nach ihrem Ausscheiden entgegenbrachten, Ausdruck des besonderen Unternehmensklimas, das Kurt Herberts geschaffen hatte:  …ein spezielles Ökosystem, ein von Leben vibrierendes Biotop…, in dessen Mitte ein Beweger, ein Impulsator, ein ständig auf Hochtouren laufender Dynamo auszumachen war, der in konzentrischen Ringen Energie abgab und aufnahm… Ein Bruder des Faustus, der empörte, beschwichtigte, bezauberte und faszinierte…

Auszug aus dem Buch „Ein Beweger, ein Impulsator – Der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts“, von Christiane Gibiec, Nordpark Verlag. Herausgeber: Bergischer Geschichtsverein. Ab Mai 2010 im Buchhandel und im Skulpturenpark Waldfrieden erhältlich, ca. € 16,80.

 


Die geschwungenen Formen des fast eckenlosen Hauses Waldfrieden
Villa von Professor Dr. Kurt Herberts stand mehr als zehn Jahre leer
(kgc). Professor Dr. Dr. Kurt Herberts war keiner von den Kommerzienräten, die im Mittelpunkt des Tages des Offenen Denkmals standen, und seine Villa wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Dennoch war das Interesse von Bürgern am Haus Waldfrieden an der Hirschstraße 12 groß. Gewöhnlicherweise ist das Areal im Unterbarmen Süden weiträumig eingezäunt und von keiner Seite einsehbar. Allein die Zufahrt hinauf zur Villa ist rund 800 Meter lang.

Das zweigeschossige Haus Waldfrieden wird von einem Grundbesitz von rund 155.000 Quadratmetern umgeben. Neben der Fabrikantenvilla befinden sich ein ehemaliges Personalwohnhaus, eine Schwimmhalle, ein vom Feuerlöschteich zum Freibad umfunktioniertes Becken und Wirtschaftsgebäude auf dem Gelände, das fast bis hinauf zur Böhle reicht. Der Besitzer der Farbenfabrik Herberts hatte das Grundstück 1940 erworben, auf dem sich ein Haus von 1897 befand. Noch vor der Währungsreform ließ er von 1947 bis 1949 Haus Waldfrieden mit einer Wohnfläche von 600 Quadratmetern errichten. 20 bis 22 Wohnräume werden durch neun Bäder und Toiletten und Wirtschaftsräume ergänzt. Auffallend ist der im einheitlichen Stil auf anthroposophischer Basis errichtete Komplex. Fließende Formen erfreuen Außen und im Inneren des Hauses den Betrachter. Die organische Formensprache ist klar! Es ist ein Werk des Architekten Franz Krause, der auch für die Lotte-Neumann-Siedlung in Barmen verantwortlich zeichnete. Er entwickelte seine Grundrisse aus „Kraftlinien“ und unterlegte ihnen „Einrundungen“ als Prinzip. Auch Heinz Rasch war beteiligt. Der stressgeplagte Professor Herberts suchte im Wald über Unterbarmen Ruhe, er liebte Bäume und die Natur – und war ein Anhänger der Lehre Steiners. Witwe Ursula Herberts erinnert sich, dass Haus Waldfrieden stets ein offenes Haus für viele Menschen war. Das Personal wohnte im Haus, wie zuvor die Handwerker während der Bauzeit.

Mit Haus Waldfrieden hatte die Erbengemeinschaft Herberts ein andauerndes Problem. Über zehn Jahre stand die Villa leer und monatlich entstehen Kosten von rund 10.000 Mark, die sich bisher auf bald zwei Millionen Mark summierten. Für den stattlichen Wohnsitz konnte lange kein Käufer gefunden werden. Ein Abriss kam nicht in Frage, da an der Erhaltung des Denkmals öffentliches Interesse besteht. „Es gründet sich nicht nur auf die herausragende Qualität des Gebäudes selbst, sondern auch auf die Person seines Bauherrn“, heißt in einem Dokument. Im Buch „Architektur im Wuppertal“ ist von einem „einzigartigen Dokument moderner Architektur in Deutschland“ die Rede. Eine Nutzung als Einfamilienhaus kam wegen der Größe kaum in Frage. Zwar wollte einmal ein Unternehmer seinen Firmensitz ins Haus Waldfrieden verlegen, doch die massiven Bauwünsche, beispielsweise ein Hotel, waren aus Sicht der Stadtverwaltung nicht genehmigungsfähig. Auch ein Pflegeheim auf der Fläche des Personalgebäudes ließ sich nicht realisieren.

Vor wenigen Jahren entdeckte der weltweit bekannte und in Wuppertal lebende Bildhauer Tony Cragg Haus Waldfrieden mit Park, erwarb das Anweisen und entwickelte daraus den Skulpturenpark, der gerne von Besuchern aus Nah und Fern besucht wird.