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Oskar Kroll

(jd). Wuppertal, Sommer 1944. Die Stadthalle auf dem Elberfelder Johannisberg war geschlossen, die Mitglieder des damaligen Städtischen Orchesters an die Front abkommandiert oder in heimische Betriebe zwangsverpflichtet. Da warf Oskar Kroll, nachdem er den Einberufungsbefehl erhalten hatte, noch einen letzten Blick in sein Manuskript „Die Klarinette“ und notierte für das Vorwort, „über alles Wissenswerte aus der Entwicklungsgeschichte seines Instrumentes und dessen Literatur“ unterrichten zu wollen, „nicht als wissenschaftliche Arbeit, sondern als Zusammentragung aller wichtigen Berichte über die Klarinette, ihre Literatur und ihre großen Virtuosen“.

Wer war Oskar Kroll? Am 15. Oktober 1908, wurde er in Barmen geboren. Sein 1881 aus dem westpreußischen Elbing stammender Vater Karl war Erster Klarinettist im Städtischen Orchester, hatte, vom eigenen Vater zur Klarinette geführt, bei Johann Sobeck, einem Enkelschüler des legendären Carl Baermann, studiert. Im Geburtsjahr Oskars wechselte er von St. Petersburg nach Barmen, spielte in der Oper und in der Stadthalle, gab auch Unterricht, widmete sich insbesondere seinem Sohn Oskar, Schüler der Oberrealschule Barmen, des heutigen Gymnasiums Sedanstraße. Mit der Mittleren Reife wechselte er an die Kölner Musikhochschule zu Professor Paul Gloger, bei dem er das Studium 1931 mit Reifeprüfung und Konzertexamen abschloss, wurde sogleich Mitglied des Städtischen Orchesters Wuppertal und avancierte zwei Jahre später zum Soloklarinettisten.

Oskar Kroll drängte auf die Konzertbühne, beherrschte er doch die großen Klarinettenkonzerte von Mozart, Spohr und Weber, war zudem ein versierter Kammermusikpartner für die entsprechende Literatur von Schumann bis Strawinsky. Im Repertoire hatte er auch Hubert Pfeiffer, den blinden Organisten der Unterbarmer Herz-Jesu-Kirche, der ihm 1931 eine „Musik für eine unbegleitete A-Klarinette“ schrieb. Zu Funkaufnahmen und Konzerten reiste er quer durch Europa, so u. a. nach Berlin, Helsinki, Luxemburg, Mailand, Oslo, Reval (heute Tallinn), Stockholm und Venedig. Bis ihm Kreiskulturwart Wilhelm Mühlhausen, der für die Reichsmusikkammer in Wuppertal zuständig war, Steine in den Weg legte.

In der Bombennacht zum 25. Juni 1943 verlor die Familie Hab und Gut in der Wormser Straße. Vernichtet war die private, über Jahrzehnte hinweg angelegte Klarinetten-Sammlung und –Bibliothek. Seine Frau Ilse und der 1942 geborene Sohn Reimar wurden nach Essfeld bei Würzburg evakuiert, er selbst zog zu den Eltern in die Sedanstraße 48. Inzwischen war die „Vierte Verordnung über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung“ in Kraft getreten, damit die Totalmobilmachung. An Frau und Sohn schrieb er am 31. August 1944: „Alles ist aus…. Mühlhausen gab heute Vormittag die endgültige Schließung bekannt. Wir spielten das ‚Meistersinger-Vorspiel’. Der Oberbürgermeister (Anm.: Heinz Gebauer) sprach Dank und Zukunftshoffnung aus, anscheinend auch sehr bewegt, was er durch Härte zu verdecken suchte. Dann spielten wir die Tannhäuser-Ouvertüre. …. Und dann sprang Foersterling (Anm.: Name eines Mitglieds des Schauspielensembles) vor und meldete die Belegschaft des Stadttheaters zum Kriegseinsatz bereit, brachte ‚Sieg Heil!’ heraus und wollte die Nationalhymne anstimmen. Aber wir spielten nicht, weil Ziegler nicht dirigierte, Ziegler dirigierte nicht, weil wir nicht die Instrumente ansetzten, und es sang keiner, weil wir nicht spielten!!!… Es ist damit zu rechnen, dass wir Jüngeren über kurz oder lang zur Wehrmacht müssen. Addio. Fine.“

Vier Tage später war es so weit. Oskar Kroll hatte nicht das Glück, wie die Cellisten Vater und Sohn Siegfried Palm zu Fabrikarbeiten im Tal eingesetzt zu werden. Er wurde an die Ostfront geschickt, beim niederschlesischen Glogau in eine Schlacht getrieben und bald als vermisst gemeldet. Ein absolut sinnloser Tod. Gerettet wurde das Manuskript des Klarinetten-Buches, das, mit dem Bärenreiter-Verlag nach Basel gebracht, dem Bombardement auf Kassel in der Nacht zum 9. März 1945 entging. Des Vermächtnisses nahm sich Dr. Diethard Riehm von der Universität Münster an, der es 1965 herausbrachte; Vater Karl Kroll, der 1957 in Wuppertal starb, erlebte es leider nicht mehr. Bis heute folgten fünf weitere Auflagen, die vorläufig letzte 2001, 93 Seiten mit 43 Abbildungen und 17 Notenbeispielen, auch übersetzt ins Englische, Italienische und sogar ins Japanische. Vater Karl Kroll wurde ebenfalls Ehre zuteil: Seine „30 Etüden für Klarinette“ gab Prof. Dieter Klöcker, neben Sohn Oskar sein prominentester Schüler, 2003 posthum heraus.

Nach wie vor gilt Oskar Krolls Buch als wichtiges Standardwerk. Existierte es nicht, wäre Wuppertal um ein Vermächtnis eines seiner großen Musikerpersönlichkeiten ärmer.

Joachim Dorfmüller